Hyperthermieprophylaxe bei der Putenmast
In Mecklenburg-Vorpommern (M-V) steigt mit zunehmender Putenmast auch das Verlustrisiko durch Hyperthermie (Hitzekollaps). Insbesondere bei Putenhähnen in der Endmastphase treten bei plötzlich ansteigenden Temperaturen in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit (z. B. Kondenswasseranfall an Wasserleitungen, Gewitterschwüle) höhere Verluste (ca. 7 %) und bei längeren Hitzeperioden (über 25°C) geringere Zunahmen (ca. 2kg) auf. Ausgemästete Putenhähne können auftretende Hitze, d. h. Temperaturen über 35°C, nicht kompensieren. Für diese heißen, schwülen Tage müssen Vorkehrungen getroffen werden, um Hyperthermieverluste zu vermeiden.
Das Tierschutzgesetz (TierSchG) verpflichtet gemäß §§ 1 und 2 den Tierhalter, Leben und Wohlbefinden seiner Tiere durch artgemäße Haltung, Pflege und Ernährung zu sichern. Durch Prophylaxemaßnahmen, die durch den Tierhalter beachtet werden sollten, können künftig Verluste durch Hyperthermie verhindert werden.
Klinische Symptome der Hyperthermie
Insbesondere durch hohe Luftfeuchtigkeiten bei plötzlich ansteigenden hohen Umgebungstemperaturen wird die Möglichkeit zur Wärmeabgabe durch Verdunstung (Evaporation) stark eingeschränkt. In der Herde tritt Schnabelatmung auf, die in Hecheln übergeht (Hyperventilation mit ca. 250 Atemzügen pro Minute). Die Tiere spreizen die Flügel vom Körper ab, um sich Kühlung zu verschaffen. Der Wasserverbrauch ist erhöht (20% und mehr) und die Futteraufnahme geht zurück (40 % und mehr). Der Kot kann dünn werden.
Bei Stalllufttemperaturen über 35°C und einer relativen Stallluftfeuchtigkeit über 75% kann sich innerhalb weniger Stunden eine tödliche Hyperthermie entwickeln. Die Rektaltemperatur liegt bei einer Stalltemperatur von 35°C bei ca. 41°C. Der Anstieg der Rektaltemperatur von 41,2°C auf 42°C führt nach ca. 30min zu einem Anstieg der Hitze-Schock-Proteine (HSP). Tiere, die eine Wärmeakklimatisation erfahren haben, vertragen den Hitzestress besser.
Diagnose
Der Sauerstoffbedarf der Puten ist sehr hoch, daher muss unbedingt für eine optimale Frischluftzufuhr in den Ställen gesorgt werden. Dabei ist insbesondere in den Sommermonaten auch der Abtransport der im Stall vorhandenen Wärme (Enthalpie), einschließlich des Wasserdampfes von entscheidender Bedeutung.
Es können massenhaft Todesfälle auftreten. Die verendeten Tiere liegen annähernd gleichmäßig verteilt auf der Einstreu oder gehäuft im Bereich der Zuluftöffnungen bzw. der Tränkeeinrichtungen. Die unbefiederte Kopfhaut ist cyanotisch (blaue Verfärbung); häufig entleert sich aus dem Schnabel Flüssigkeit oder Futterbrei. Das Gefieder kann durchfeuchtet sein und sich leicht lösen.
Die pathologischen Befunde ergeben hochgradig akute Stauungslunge, blutreiche Leber, starke Blutfülle der großen Venen und Verendung an akutem Herz- und Kreislaufversagen (typisch für Sauerstoffmangel, überhöhte Temperatur und Reizung der Atemwege).Eine besondere Hyperthermiegefahr besteht bei Putenhähnen ab 18 kg Lebendmasse. Ein Wärmeinhalt (Enthalpie) der Stallluft ab 72 kJ/kg gilt nach den bisherigen Erfahrungen in Niedersachsen als lebensbedrohliche (letale) Grenze, deren Erreichen in aller Regel zum Hitzetod der Puten führt. Bei Einhaltung des Mindestsommerluftvolumenstromes sowie optimaler Pflege und Betreuung der Tiere kann bei einem Wärmeinhalt von bis zu 67kJ/kg in der Außenluft das Erreichen der letalen Grenze von 72 kJ/kg in der Stallluft in der Regel vermieden werden.
Die Stalllufttemperatur und die relative Stallluftfeuchtigkeit sind unmittelbar nach Schadenseintritt zu erfassen (Stallcomputer o. ä.). Im Zweifelsfall sind zum Ausschluss eines infektiösen Geschehens frisch verendete Tiere umgehend an das Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei (LALLF) einzusenden.
Prophylaxemaßnahmen
Reduzierung der Besatzdichte
Bei der Einstallung in der 7. Lebenswoche im Zeitraum Juni bis August ist in Betrieben, die der Putenvereinbarung nicht beigetreten sind, und in Betrieben, die keine zusätzlichen Hyperthermieprophylaxemaßnahmen vorgesehen haben, die Tierzahl so weit zu reduzieren, dass in der Endmast eine Besatzdichte von 40 kg/m2 (- 10 %) bei Putenhennen (maximal 4,3 Tiere/m2) und von 45 kg/m2 (- 10 %) bei Putenhähnen (maximal 2,4 Tiere/m2) bezogen auf die nutzbare Stallgrundfläche nicht überschritten wird.
Wetterentwicklungen
Der Tierhalter ist verpflichtet, sich rechtzeitig über mögliche nachteilige Wetterentwicklungen zu informieren.
Zu diesem Zweck können die Klimadaten im Internet beim Deutschen Wetterdienst aktuell abgerufen werden.
Wird aufgrund der Klimadaten vor einem bedrohlichen Anstieg des Wärmeinhaltes der Luft durch den Wetterdienst gewarnt, sollte für diesen Zeitraum die ständige Präsenz einer verantwortlichen Person für die Überwachung der Stalltechnik und der Betreuung der Tiere abgesichert werden.
Zusatzmaßnahmen
Zur Verhinderung von Hitzetoten sind rechtzeitig nachfolgende Zusatzmaßnahmen einzuleiten.
Kontrolle der Stalllüftung
In zwangsgelüfteten, geschlossenen Ställen mit massiver Bauweise (Beton, Ziegel, Gasbeton) sind in M-V nach der DIN 18910-1 (2004) folgende Mindestsommerluftvolumenströme zu gewährleisten:
- Hennen, 9 kg Lebendmasse : ≥ 17,2 m3/h
- Hähne, 21 kg Lebendmasse : ≥ 32,4 m3/h
Die Auslegung der Lüftung nach diesen Werten garantiert nicht, dass auch bei Enthalpiewerten von bis 67 kJ/kg trockener Luft in der Außenluft ein ausreichender Luftaustausch (Enthalpiewerte in der Stallluft < 72 kJ/kg trockene Luft) erfolgt. Nach bisherigen
praktischen Erfahrungen wird dieser Luftaustausch im Tierbereich in geschlossenen wärmegedämmten Stallgebäuden mit Zwangslüftung bei folgenden Mindestsommerluftvolumenströmen gewährleistet:
- Hennen: ≥ 4 m3/h/kg Lebendmasse
- Hähne: ≥ 5 m3/h/kg Lebendmasse
Für freigelüftete, offene Ställe in leichter Bauweise (Gardinenstall mit wärmegedämmten Dach) werden bei extremen Sommertemperaturen und geringer Luftbewegung folgende Zwangslüftungsmaßnahmen empfohlen:
- Einbau von Ventilatoren in vorhandene Einzelschächte, die o. g. Mindestsommerluftvolumenströme absichern,
- Schwenkventilatoren mit einer Mindestförderleistung von ca. 22.000 m3/h, die im Abstand von jeweils ca. 30 m an einer Stalllängsseite angebracht sind,
- Stützluftventilatoren mit einer Mindestförderleistung von ca. 40.000 m3/h, die so in der Stallmitte angeordnet sind, dass der erzeugte Luftstrom in Längsrichtung verläuft und vom nächsten Ventilator angesaugt und weitertransportiert wird, bei einem Abstand der Ventilatoren von jeweils ca. 30 m,
- Deckenumluftventilatoren mit einer Mindestförderleistung je Ventilator von ca. 35.000m3/h für ca. 200 m2 Stallfläche
Die volle Funktionsfähigkeit der Alarmanlage, des Notstromaggregates, der Lufteinlassöffnungen, der Luftleiteinrichtungen und der Ventilatoren sind bei extremen Wettersituationen täglich zu prüfen.
Zwangslüftung:
Der Mindestsommerluftvolumenstrom muss in Abhängigkeit der statischen Druckdifferenz der Lüftungsanlage (ca. 30 Pa) gefördert und der zuständigen Behörde nachgewiesen werden können (z. B. Genehmigungsunterlagen). Kann der Nachweis des Mindestsommerluftvolumenstromes vom Betreiber nicht erbracht werden, sollten Messungen durchgeführt werden.
Freie Lüftung:
Die Wirksamkeit der freien Lüftung wird nach der Länge und Höhe der seitlichen Luftbänder (Höhe von 1,0 m bis 1,5 m an beiden Stalllängsseiten), der Giebelwandöffnung (nutzbare Stalltore in beiden Giebeln), der Firstschlitze oder der Einzelschächte, der Lage der Stalllängsachse zur Hauptwindrichtung (möglichst quer zur Hauptwindrichtung) beurteilt.
Bei Windrichtung in Stalllängsachse (Wind auf Giebelseite) wird der Luftaustausch insbesondere im Sommer stark reduziert. Der Mindestsommerluftvolumenstrom bei reiner Querlüftung (Louisianastall) kann näherungsweise in Abhängigkeit vom Standort als Produkt von Zuluftöffnungsfläche (gleich oder kleiner Abluftöffnungsfläche) und Windgeschwindigkeit (0,50 m/s werden nur sehr selten im Sommer unterschritten) ermittelt werden. Der Bereich der Zuluftöffnungen muss frei von Bewuchs sein. Im Bedarfsfall können Zwangslüftungsmaßnahmen erforderlich werden.
Kühlwirkung durch Erhöhung der Luftgeschwindigkeit im Tierbereich
Die Luftgeschwindigkeit im Tierbereich kann oberhalb einer Temperatur von 26 °C durch Umstellen der Lüftungsdüsen oder durch zusätzlich installierte Ventilatoren erhöht werden;
dabei sollte die Luftgeschwindigkeit im Tierbereich 3,0 m/s nicht überschreiten.
Bei Temperaturen über 35 °C sollten Luftgeschwindigkeiten von 6,0 m/s nicht überschritten werden.
Kühlwirkung der Luft in Abhängigkeit der Luftgeschwindigkeit:
Luftgeschwindigkeit 1,25 m/s - Kühlwirkung 3,33 °C
Luftgeschwindigkeit 2,50 m/s - Kühlwirkung 5,56 °C
Die hohen Luftgeschwindigkeiten sollten partiell eingeleitet werden damit die Tiere diese Bereiche ggf. wieder verlassen können. In der Praxis haben sich entsprechende Luftduschen in etwa einem Drittel des Stalles bewährt.
Zwangslüftung:
Luftleitvorrichtungen, Schwenklüfter, Zusatzlüfter und die Lüfter der Heizgeräte zur Erhöhung des Luftvolumenstromes im Tierbereich sollten eingesetzt werden.
Freie Lüftung:
In Abhängigkeit von der Standortsituation können die unter "Kontrolle der Stalllüftung" als Zwangslüftung unter 1.-4. aufgeführten Maßnahmen im Bedarfsfall zum Einsatz gelangen. Der dort genannte Mindestsommerluftvolumenstrom sollte im Tierbereich erreicht werden.
Kühlwirkung durch Luftbefeuchtung
Zur Absenkung der Stalllufttemperatur (3 bis 5 °C) kann die Zuluft und/oder die Stallluft befeuchtet werden. Die Stallluftfeuchte darf dabei nicht über 80 % ansteigen. Die Benutzung der Befeuchtungsanlage sollte rechtzeitig vor der erwarteten Tageshöchsttemperatur erfolgen (weniger als 50 % relative Außenluftfeuchte). Eine Befeuchtung von Tieren und Einstreu sollte vermieden werden. Ein Dauerbetrieb der Befeuchtungsanlage ist wegen der Gefahr eines erhöhten Keimwachstums zu vermeiden. Bei Altbauten kann zur Abkühlung der aus der Zwischendecke entnommenen Zuluft auch eine Berieselung der Stalldachfläche
sinnvoll sein.
Zwangslüftung/Freie Lüftung:
- Stallluftbefeuchtung (feines Versprühen von Wasser im Stalldeckenbereich)
- Zuluftbefeuchtung (feines Versprühen von Wasser in Zuluftstrom-Lufteinlasskühlung)
Hinweis: Bei bestehender Hyperthermiegefahr (Außenlufttemperatur ta ≥ 30 °C, Windstille und Schwüle) ist die Stallluftbefeuchtung zu unterlassen!
Beschattung
Der Stall/Tierstapel und die Tiertransportfahrzeuge für auszustallende Tiere sollten vor intensiver Sonneneinstrahlung in den Nachmittags- und Abendstunden geschützt werden.
Zwangslüftung:
- Abdunkelung der Fenster (helle Farbanstriche, Rollos mit Alu-Beschichtung)
- Langfristige Beschattung durch Sträucher und Bäume
Freie Lüftung:
- Sonnenschutz vor west-südwestseitigen Zuluftöffnungen (Gitterfolie mit Alu-Beschichtung am Dachüberstand angebracht)
- Langfristige Beschattung durch Baumkronen (Zuluftbereich frei, Bildung von Schatten und Windkanal)
Reduzierung der Fütterung
Zur Kreislaufstabilisierung wird die Fütterung einige Stunden vor der erwarteten Tageshöchsttemperatur durch „Hochziehen“ der Tröge eingestellt. Die Fütterung sollte erst nach Absinken der Temperaturen in den Abend- und Nachtstunden wieder uneingeschränkt aufgenommen werden. Dazu kann in diesen Tagen auf eine Dunkelphase verzichtet werden.Wenn die Futterlinien heruntergelassen werden, sollten die Tröge gefüllt sein.
Tränkwasserversorgung
Die Tränkwasserversorgung ist durchgehend (auch während der Nacht) sicherzustellen.
Frisches, kühles Wasser ist bei hohen Temperaturen günstiger als im Vorlaufsystem erwärmtes Wasser.
Ausstallung
Hohe Außenlufttemperaturen (ta ≥ 28 °C) und Windstille stellen eine besondere Gefahr dar. Die Ausstallung ist zu unterlassen und der Ausstallungstermin so zu legen, dass die kühleren Tagesstunden genutzt werden. Dabei sind die Nacht- bzw. Morgenstunden zu bevorzugen. Führt die bei der Ausstallung erforderliche Abdunkelung der Ställe zu einer merklichen Einschränkung der Wirksamkeit der freien Lüftung, so hat der Tierhalter zusätzlich Zwangslüftungseinrichtungen vorzuhalten. Vorbeugende Entscheidungen zur Veränderung des Ausstallungstermins aufgrund extremer Witterungsbedingungen sind durch den Tierhalter ggf. zu treffen.
Da die Verlegung der vom Geflügelschlachtbetrieb festgelegten Termine oft kaum möglich ist, sind die vorbeugenden Maßnahmen von entsprechender Bedeutung. Verfügt der abholende LKW über eigene Lüfter, sollten sie zur Kühlung der bereits verladenen Tiere eingesetzt werden, erforderlichenfalls sind betriebseigene Zusatzlüfter bei der Verladung einzusetzen.
Transport
Beim Transport zum Schlachtbetrieb sollten möglichst folgende Bedingungen berücksichtigt werden:
- ggf. Reduktion der Besatzdichte in den Transportbehältnissen
- während der Fahrt dürfen nur unvermeidbare Pausen eingelegt werden
- bei unvermeidbaren Pausen ist das Fahrzeug im Schatten abzustellen
- stauträchtige Strecken sollten vermieden werden – Verkehrsfunk verfolgen!
- ggf. über Notruf die Polizei verständigen, um das Fahrzeug, wenn möglich, aus dem Stau zu leiten
- Parken auf dem Schlachthof nur mit Zusatzlüftung, ansonsten LKW bis zur Schlachtung bewegen